HIGH AND LOW - JOHN GALLIANO
Über Aufstieg und Fall des ehemaligen Dior-Star-Designers John Galliano.
HIGH AND LOW – JOHN GALLIANO | Synopsis
Der britische Modedesigner John Galliano galt in den 90er- und 00er-Jahren als einer der herausragendsten und einflussreichsten Namen in der Modewelt, bis seine Karriere 2011 ein jähes Ende fand. Galliano wurde dabei gefilmt, wie er betrunken in einer Pariser Bar mit antisemitischen und rassistischen Äusserungen rumpöbelt. Wie konnte es so weit kommen? Unveröffentlichtes Filmmaterial und Interviews mit einigen der bekanntesten Persönlichkeiten der Mod
Oscar-Preisträger Kevin Macdonald beleuchtet in diesem Film die vielfältigen Facetten und Widersprüche von Gallianos Persönlichkeit – ein intimes Porträt über den Menschen hinter dem Modegenie und seiner Suche nach Vergebung. Zahlreiche Weggefährt:innen des eigenwilligen Modeschöpfers kommen zu Wort, darunter Supermodel Naomi Campbell und die ikonische Vogue Chefredakteurin Anna Wintour.
Rezension von Lliana Doudot
HIGH AND LOW – JOHN GALLIANO macht seinem Titel alle Ehre: Kevin Macdonalds Dokumentarfilm über den Aufstieg und den vermeintlichen Fall des englischen Designers John Galliano in der Modebranche zeichnet ein eindrucksvolles Bild von den sozialen und industriellen Herausforderungen einer exklusiven und geschützten Welt. Dazu gehören Archivaufnahmen, ein Interview mit John Galliano und Interviews mit zentralen Figuren der Branche.
Ein Balanceakt
Es ist eine Gratwanderung, die der Regisseur mit diesem Porträt der kontroversen Figur John Galliano unternommen hat: Wie schafft man einen Film, der den Zuschauer:innen die Freiheit gibt, sich eine eigene Meinung zu bilden? Fakten sind Fakten, und Kevin Macdonald weicht ihnen nicht aus. Seine Fragen versuchen zu verstehen, warum John Galliano 2011 antisemitische Tiraden von sich gab. „I don’t even know myself“, gesteht er. Dennoch versucht der Dokumentarfilmer, Antworten auf die Fragen zu finden. Die Erklärung scheint in jener Kultur der Jahrhundertwende zu liegen, die noch immer blind für die rassistische, kapitalistische und allmächtige Machtdynamik der Mode ist und ein Individuum bis zu dem Punkt hochjubelt, an dem es sich für unantastbar hält.
Die Agonie der goldenen Gans
Die ersten Kollektionen des Designers wurden von Insidern gefeiert und als die Werke eines Hochbegabten gelobt. Obwohl sie nicht sehr rentabel waren, stellten sie sofort die altbekannten künstlerischen Codes der Mode des ausgehenden 20. Jahrhunderts in Frage. John Gallianos Ruf entstand so aus dem Beifall seiner Kollegen, die ihn als Genie ansahen, und es war dieses fast messianische Image, das den französischen Milliardär Bernard Arnault dazu brachte, ihn 1995 für die künstlerische Leitung der Haute-Couture-Kollektion von Givenchy und im Jahr darauf auf Anraten von Anna Wintour auch für Dior auszuwählen.
Keine Geldprobleme mehr, diese neuen Rollen ermöglichten es dem britischen Designer, sein Talent zu entfalten, aber auch, von der Industrie ausgenutzt zu werden. Mehr als 32 Kollektionen pro Jahr, das war es, was von ihm fast ein Jahrzehnt lang erwartet wurde. Kein Wunder also, dass John Galliano in den Alkoholismus und den Konsum verschiedener Drogen abrutschte. Und das ist das vielleicht Beeindruckendste am Dokumentarfilm: das Porträt einer Modewelt, die so gierig ist, dass sie den Untergang ihrer goldenen Gänse in Kauf nimmt.
Fazit
Sind die Beleidigungen von John Galliano, der zum Zeitpunkt der Pöbeleien unter dem Einfluss von Substanzen stand, also der Versuch eines sozialen Selbstmords, wie er es interpretiert? Sind sie nicht vielmehr Ergebnis einer Umwelt, die alles zulässt und schnell verzeiht? In Ungnade fiel Galliano tatsächlich nur drei Jahre lang, denn 2014 wurde er von Margiella wieder angestellt. In HIGH AND LOW – JOHN GALLIANO gelingt es dem schottischen Regisseur, uns die Frage zu stellen, die seit einigen Jahren beschäftigt: Kann man den Menschen wirklich vom Künstler trennen?