A Chiara
Der Gewinnerfilm des letztjährigen ZFF führt ein Mädchen auf den Grund der mafiösen Machenschaften ihrer Familie
Mit seinem dritten Film beschliesst der amerikanisch-italienische Regisseur Jonas Carpignano seine kalabrische Trilogie. «A Chiara» trifft dabei ins Herz der gesellschaftlichen Probleme der Region und erzählt aus der Perspektive der 16-Jährigen von der Schwierigkeit, den eigenen Weg zu finden. Mutig zu sein, auch wenn dies bedeutet, sich gegen die eigene Familie zu stellen.
A Chiara | Synopsis
Die 16-jährige Chiara lebt in einer kleinen Stadt in Kalabrien, umgeben von ihrer Familie. Zum 18. Geburtstag ihrer Schwester wird ein grosses Fest organisiert, bei dem der ganze Clan zusammenkommt. Am nächsten Tag verschwindet Claudio, ihr Vater, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie beschliesst, nachzuforschen, um ihn zu finden. Je näher sie der Wahrheit hinter dem Geheimnis seines Verschwindens kommt, desto mehr nimmt ihr eigenes Schicksal Gestalt an.
Jonas Carpignano wuchs zwischen Rom und New York auf. Nach zwei ersten Kurzfilmen, die unter anderem bei den 68. Filmfestspielen von Venedig und der Semaine de la Critique Cannes 2014 ausgezeichnet wurden, drehte er seinen ersten Spielfilm «Mediterranea», der bei den Filmfestspielen von Cannes 2015 (Semaine de la Critique) ausgewählt wurde. Jonas’ zweiter Spielfilm «A Ciambra» feierte seine internationale Premiere bei der Quinzaine des Réalisateurs 2017. «A Chiara», sein dritter Film, der in die Quinzaine zurückkehrt, schliesst die Trilogie um die kalabrische Stadt Gioia Tauro in Italien ab, in der alle drei Filme gedreht wurden.
A Chiara | Rezension
von Madeleine Hirsiger
Wir sind im Städtchen Gioia Tauro in Kalabrien. Alles wirkt ärmlich, heruntergekommen, die Häuser, die Strasse, das Meer mit verschmutztem Strand, die Schule. Es ist windig und kalt. Die guten Zeiten sind lange vorbei. Wärme und gute Stimmung kommt aus einem Lokal, in dem der 18. Geburtstag von Giulia gefeiert wird, der ältesten von drei Töchtern der Familia Rotolo. Am Fest zugegen ist die ganze Verwandtschaft – der Clan. Man hat sich herausgeputzt, es wird getanzt, getrunken und endlos Selfies geschossen. Trinksprüche werden in die Runde geworfen, nur Claudio, der Vater von Giulia, weigert sich. «Ich kann das nicht, vor allen Leuten». Und es schleicht sich bald ein Gefühl des Unwohlseins ein, die Unbeschwertheit wird zur Kulisse.
Chiara taucht ab ins Dunkle
Es ist die 16-jährige Chiara, die allmählich Veränderungen in ihrem familiären Umfeld feststellt: Sie sieht ihren Vater mit dunklen Gestalten argumentieren, das Auto vor dem Haus wird nachts in die Luft gesprengt, der Vater verschwindet von der Bildfläche, undurchsichtige Typen kreisen um sie – auch ihr Onkel. Sie stellt Fragen und geht unbeirrt und mutig allen Spuren nach, die zu ihrem Vater führen könnten. Der wird im Fernsehen als gesuchter Mafiosi vorgeführt. Alle wissen, um was es geht. Und wir tauchen in die sogenannte Malavita ein, zu den Menschen, die in die von der Mafia geschaffenen Schattenwirtschaft involviert sind. Und so wird Gioia Tauro zu einem wirtschaftlichen und sozialen Mikrokosmos. Allmählich setzen sich die Puzzleteile zusammen: der Bunker im Keller, der als Versteck dient, schliesslich der Hinweis des Onkels, der Chiara zu ihrem Vater führt, der sie dann auf seine Touren mitnimmt. Im Teigkessel einer kleinen Bäckerei wird Kokain mit Steckmitteln umgerührt, es werden Päckchen gemacht, der Vater bekommt seinen Anteil. «Ich habe noch nie jemanden umgebracht, ich bin kein Mörder», sagt er zu seiner Tochter. «Und von etwas müssen wir ja leben».
Die Trilogie
Es ist der dritte Spielfilm, den der 38-jährige italienisch-amerikanische Regisseur Jonas Carpignano im Städtchen Gioia Tauro gedreht hat. Die beiden vorangehenden Filme hatte er den Migranten und den Roma gewidmet. Und immer hat er mit Laiendarstellern aus dem Ort gearbeitet. «Alle Elemente, die die Familie betreffen, sind real, aber ich habe sie in eine fiktionale Struktur eingebettet. Es war daher nicht schwierig, sie spielen zu lassen, da es sich um bereits erlebte Szenen handelte», sagt der Regisseur. Und schliesslich gehe es um die junge Chiara, die ihren eigenen Kompass zwischen Gut und Böse finden müsse, um frei zu werden. «A Chiara» ist ein starkes Stück Kino – mit einer hervorragenden Protagonistin Swamy Rotolo als Chiara. Die visuelle Umsetzung kommt oft so authentisch und so nah an das Drama heran, dass man zuweilen vergisst, in einem Spielfilm zu sein. Das ist auch der Handkamera geschuldet, die durch den ganzen Film hindurch zum Einsatz kommt und von einer fesselnden Intensität ist. Hervorragend eingesetzt ist auch die Musik, die nicht nur Spannungen und Atmosphären aufnimmt, sondern auch die Stille.
Fazit: «A Chiara» ist ein durchwegs gelungenes, intensives und zuweilen beängstigendes Drama, das einem nicht immer entspannt im Kinosessel sitzen lässt.
A Chiara | Weitere Stimmen
«Cineastisches Meisterwerk» – ZFF, Jury | «Mit fesselnder Intensität gespielt» – Indiewire | «Jonas Carpignano gelingt ein Geniestreich» – Outnow