CH-Kino | Bassidji
Genügen die Fragen, die der Regisseur Mehran Tamadon im Laufe des Films stellt, um die Prinzipien eines totalitären Diskurses zu verstehen und verständlich zu machen?
Synopsis Nur mit Kamera, Mikro und einem Haufen Fragen im Gepäck, hat sich Mehran Tamadon mit Mitgliedern der Bassidji getroffen – einer 1980 gegründeten Volksmiliz, die sich während Saddam Husseins Angriff auf den Iran der offiziellen Armee angeschlossen hat und deren Anhänger zum Grossteil im Krieg gefallen sind. Mittlerweile fungieren die Bassidji als islamische Revolutionsgarde. Mit offenem Visier und ohne seine Absichten zu verbergen, hat er ihnen seine Fragen gestellt und sie mit seinen Überlegungen konfrontiert, die von einem Teil der zwei Jahre lang von dieser Regierungsmiliz unterdrückten iranischen Bevölkerung geteilt werden. Er ist ihnen zu den alten Schlachtfeldern gefolgt, auf denen sie zu hunderten ihre Kriegs-Märtyrer beweinen, die in dem Glauben gestorben sind, dadurch Gottes Wille zu folgen. Er hat an ihren Versammlungen teilgenommen, an denen die BASSIDJI bei gelöschtem Licht und mit lautem Klagegeschrei ihre Märtyrer beweinen und darum beten, sich dereinst ebenso tapfer und opferbereit zu zeigen wie sie. Er ist einem der Gardisten durch die Strassen Teherans gefolgt, der dort auf dem Motorroller unterwegs ist, um über das Einhalten der Gebote und die Auslegung des Islam zu wachen.
Motor des Films und Argument für seine Begegnungen sind auf der Strasse geführte Interviews mit Iranern, die sich mittels des Aufnahmegerätes an die Führer der Bassidji wenden und ihre Vorbehalte und Zweifel äussern. Er versucht sie mit seinen Erfahrungen im Westen zu konfrontieren, wo er mit seiner Partnerin in Untreue und unverheiratet zusammenlebt, während sie es nicht einmal wagen, einer Frau in die Augen zu sehen. _Unermüdlich versucht Mehran Tamadon zu verstehen. Mit all seiner Diplomatie und seiner Redegewandtheit – der die seiner Gesprächspartner in nichts nachsteht – stürzt er sich mit seinen Argumenten und Überlegungen in dieseWortgefechte. Letztlich, fast am Ende seiner Kräfte, beisst er jedoch auf Granit. Ob er eine Frage zu viel gestellt hat?
art-tv.ch Wertung Der Regisseur, der diese Männer mit seiner eigenen Haltung konfrontieren und kritisch befragen wollte, legt seine Absicht von Anfang an offen. Ohne seine Gesprächspartner zu stigmatisieren oder verteufeln, versucht Mehran Tamadon, die Bassidjis zu verstehen. Und er wird zum Sprachrohr jenes anderen Lebensentwurfs, den viele junge IranerInnen anstreben. Ohne falsche Hemmungen spricht der Regisseur über sein westlich geprägtes Leben und mit diplomatischem Geschick und Aufrichtigkeit gelingt es ihm tatsächlich, einen Dialog herzustellen. Doch am Schluss steht er vor einer Mauer. Ist eine gegenseitige Verständigung wirklich möglich?
Der Regisseur Mehran Tamadon ist 1984 im Alter von 12 Jahren nach Frankreich gekommen. Er wurde an der Ecole d’architecture de Paris – La Villette ausgebildet und 2000 diplomiert. In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends lebte er während vier Jahren im Iran und widmete sich seinem Beruf. Ab 2002 orientiert er sein Schaffen mehr und mehr in Richtung Kunst. Anlässlich einer Ausstellung des Museums für zeitgenössische Kunst in Teheran zeigt er die Installation Le regard d’un flâneur. Er publiziert zudem zwei persische Essais (Moments d’agonie, 2003 und L’amitié, 2005). 2004 realisiert er seinen ersten mittellangen Dokumentarfilm, Behesht Zahra – Mères de Martyrs, der an zahlreichen anderen internationalen Festivals gezeigt wird. Bassidji (2009), der sich mit den Verfechtern der Islamischen Republik Iran auseinandersetzt, ist sein erster langer Dokumentarfilm.
Bassidji – Au coeur du régime iranien wurde an zahlreiche hochrangige Festivals eingeladen (Visions du réel, Toronto IFF, DocLisboa, Dok Leipzig, etc).