Filmfestival | Luststreifen 2021
Das Festivals setzt sich mit cineastischer Bildrepräsentation auseinander, die mit gängigen Blickstrukturen und gesellschaftlichen Normen brechen.
Besonders sollen Menschen zu Wort kommen und visuell sichtbar werden, die ansonsten in ihrer Repräsentation eingeschränkt oder überhaupt nicht berücksichtigt werden. Ebenso wichtig sind die filmischen Produktionsbedingungen. Anbei drei Spielfilme und drei Dokumentarfilme, die das Festival besonders empfiehlt, ergänzt mit zwei spannenden Rahmenveranstaltungen.
FIKTIONALE FILME
NEUBAU
Sommer in der Brandenburger Provinz. Markus ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu seinen pflegebedürftigen Omas und der Sehnsucht nach einem anderen Leben in Berlin. In Tagträumen erscheint ihm immer häufiger eine Schar schillernder Dämonen als Vorboten einer queeren urbanen Wahlfamilie, die ihn aus seiner Einsamkeit befreit. Als er sich in Duc verliebt, wird alles noch komplizierter. Denn eigentlich stehen in Markus’ Neubauwohnung schon die gepackten Kisten für den Umzug in die grosse Stadt. Wo möchte ich leben – und wie? Mit diesen existentiellen Fragen beschäftigen sich Autor/Hauptdarsteller Tucké Royale und Regisseur Johannes M. Schmit in ihrem Debütfilm aus der Sicht eines jungen queeren Mannes in der Uckermark. Und beantworten sie mit einem dezidiert nicht- normativen Lebensentwurf, in dem die Befreiung aus konservativen Vorstellungen von Sexualität und Geschlechterzugehörigkeit ebenso eine Rolle spielen wie Commitment und gegenseitige Fürsorge. Ihr queerer Heimat- film entstand fernab der grossen Metropolen als unabhängige Produktion in einem Künstler*innen-Kollektiv, dem es um ambivalente (Gegen-) Erzählungen und eine „Neue Selbstverständlichkeit“ geht. Im Januar 2020 feierte „Neubau“ seine Uraufführung im Spielfilm-Wettbewerb des Filmfestivals Max Ophüls Preis. Dort wurde er als Bester Spielfilm ausgezeichnet und dabei von der Jury besonders für seine „Kraft Empathie zu erzeugen“ gelobt. Tucké Royale erhielt zudem für sein Buch und Schauspiel den Preis für den gesellschaftlich relevanten Film.
Freitag, 1. Oktober ab 22.00 h, Kult.Kino camera | Johannes M. Schmit Rovinelli | Drama | 81’ | DE 2020 | D/d
HIVE
Eine Frau, deren Mann seit dem Kosovo-Krieg vermisst wird, nimmt ihr Leben selbst in die Hand: Sie gründet ihr eigenes Unternehmen, um für ihre Familie zu sorgen und weiteren Frauen in ihrem Dorf eine Arbeit zu geben. Der auf einer wahren Geschichte basierende Film wurde in Sundance mehrfach preisgekrönt.
Samstag, 2. Oktober, ab 13.00 h, Kult.kino camera 1 | Blerta Basholli | Drama | HR/CH 2021 | 84’ | SQ/d
LA MIF «Wer bist du? – Die Punkkönigin im Land derArschlöcher.»
Sieben Mädchen leben zusammen unter einem Dach. Sie haben einander nicht ausgesucht, wie in einer Familie. Sie kommen aus schwierigen Verhältnissen, hier im Heim finden die Mädchen eine neue Familie, eine Gemein- schaft, wie sie sie bisher nicht kannten. Sie teilen Freude und Leid und rebellieren gegen die Unzulänglichkeiten ihrer Umgebung – die Temperamente der jungen Frauen sind verschieden, ihr Lebenshunger ist gross, ihr Platz in der Gesellschaft zu prekär. Heimleiterin Lora ist immer für sie da, wenn sie sie brauchen. Oder ist es umgekehrt? La Mif entstand in enger Zusammenarbeit mit den jungen Darstellerinnen, die an der Entwicklung ihrer Figuren beteiligt waren. Jedes Schicksal ein Splitter. Sie setzen sich zu einem schillernden Kaleidoskop zusammen, das Hierarchien auf den Kopf stellt. Der Film enthüllt einfühlsam die Mängel von Jugendschutzsystemen sowie die Fragilität sozialer Strukturen und geht der Frage nach, was es bedeuten mag, Teil einer Familie zu sein.
Sonntag, 3. Oktober, ab 18.00 Uhr, neues Kino Fred Baillif | Drama | CH 2021 | 111’ | FR/d
DOKUMENTARFILME
SEDIMENTOS
Sechs trans Frauen reisen in eine kleine Stadt in León, wo sie ungewöhnliche Landschaften und ihre eigene Persönlichkeit erkunden. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, was sie als Gruppe verbindet, lernen sie, mit ihren Unterschieden umzugehen. „Sedimentos“ ist eine fesselnde und lustige Geschichte über Empathie, Individualität und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Es ist die gegenwärtige Radiographie eines Kollektivs, das in die Vergangenheit blickt und sich selbst in die Zukunft projiziert, um die aussergewöhnliche Möglichkeit zu feiern, einzigartig zu sein.Regisseurin anwesend für Q&A
Samstag, 2. Oktober, 15.15h, neues Kino Adrián Silvestre | ES 2021 | 89’ | ES/d
GIRLS CAN’T SURF
GIRLS CAN’T SURF ist ein wilder Ritt der Rebellion, eine Zerschlagung des Patriarchats und ein halsbrecherisches Abenteuer, das in die Welt des professionellen Surfens eintaucht: ein Zirkus aus Fluor-Farben, peroxidiertem Haar und radikalen männlichen Egos. In einer Zeit, in der Frauen auf winzige Bikinis und Armbänder reduziert wurden, träumte diese ungleiche Gruppe von Frauen aus der ganzen Welt davon, Weltmeisterinnen zu werden. Mit ihrer ausgeprägten Individualität, ihrem Konkurrenzdenken, ihrem Ehrgeiz und ihrer Eigenwilligkeit stiessen diese Frauen auf eine von Männern dominierte, millionenschwere Industrie und Kultur, die nicht auf sie vorbe- reitet war.
So, 3. Oktober, 11.00h, neues Kino Christopher Nelius | AU 2020 | 104’ | EN
MIGUEL’S WAR
In diesem inhaltlich wie formal vielschichtigen Porträt stellt sich ein schwuler Mann den Geistern seiner Vergangenheit und geht versteckten Sehnsüchten, unerfüllter Liebe und quälenden Schuldgefühlen auf die Spur. Miguel wurde 1963 als Sohn eines konservativ-katholischen libanesischen Vaters und einer autoritären Mutter aus einer wohlhabenden syrischen Familie geboren. Vielfältige Konflikte um seine nationale, religiöse und sexuelle Identität trieben ihn mit Anfang 20 zur Flucht nach Spanien. Im Madrid der Post-Franco-Zeit lebte er offen schwul, sein Alltag glich einer fortwährenden Almodóvar’schen Orgie voller Exzesse und sexueller Tabubrüche. Darauf folgten Absturz und Neuanfang. 37 Jahre nach seiner Flucht vor Krieg und Repression reist Miguel in den Libanon. In einer Mischung aus Reenactments, Animation, selbstreflexiven Interviews und Archivmaterial sezieren Filmende und Gefilmter gemeinsam alte Traumata und emotionale Verletzungen und untersuchen Möglichkeiten einer Katharsis durch eine bis an die Grenzen gehende Selbstkonfrontation.
Sonntag, 3. Oktober, ab 21.00h, neues Kino | Eliane Raheb | LB/DE/ES 2021 | 128’ | OV/e
RAHMENPROGRAMM
PRINZ IP – SZENISCHE LESUNG
Wie Sex und Aufklärung, was? Menstruation yay oder etwa doch nicht? Und warum liegt hier eigentlich Stroh?
Mit diesen und anderen Fragen hat die Theatergruppe Prinz Ip einen Aufruf gestartet, selbstgeschriebene Texte aller Art einzusenden. Daraus entstanden ist eine vielfältige Lesung, die von humorvoll bis ernst einige Themen anspricht, die momentan beschäftigen. Nur warum da Stroh liegt, wissen wir leider immer noch nicht.
Fr, 1. Oktober 2021 ab 19:30h, Humbug
PORN ROUNDTABLE
Queer and feminist pornography in Europe: Screening, performing, producing. What does the queer porn landscape in Europe look like? What makes porn queer? And what are we trying to achieve? Panel discussion with Rouse Renoir (Basel, CH), Katja Morand (Luststreifen Programmation) and special guests from the Luststreifen Porn Shorts. Moderated by Fabienne Bieri (Luststreifen).
Fr, 1. Oktober ab 17.30h, Humbug