Internationale Kurzfilmtage Winterthur | Fredi M. Murer und die 68er
- Publiziert am 17. Oktober 2017
Die Hippies und Rebellen der 60er werden alt. Das Festival widmet einem ihrer Grössten eine Retrospektive
Das Jahr 1968 wird bald 50. Es steht für eine ganze Generation, die sich gegen das Establishment gewehrt hat und die noch heute polarisiert. Grund genug für eine Jubiläumsrückblende. Fredi M. Murer, einer der bedeutendsten Schweizer Filmemacher (u. a. «Höhenfeuer» und «Vitus») war mit seinen frühen Werken mittendrin im Zeitgeist der 68er.
Vom Stift zur Linse
1940 geboren, besuchte Murer an der Kunstgewerbeschule Zürich zuerst den Kurs für wissenschaftliches Zeichnen, wechselte dann aber in die Fachklasse Fotografie. Seit 1967 ist er freischaffender Filmemacher und Produzent und hat mit seinen Kurz- und Langfilmen Schweizer Filmgeschichte geschrieben.
«Chicorée»
Die Kurzfilmtage widmen Murer dieses Jahr zwei Programme. Das erste präsentiert zwei seiner frühen Kurzfilme. «Chicorée» (1966), ein Klassiker der Schweizer Filmgeschichte, ist das erste von Murers drei Künstlerporträts und widmet sich dem – leider kürzlich verstorbenen – Urban Gwerder. Ursprünglich stiess Murer im Rahmen einer Fotoarbeit auf Gwerder, der als Dichter Texte zuliefern sollte. Stattdessen entschied Murer sich dann, ein Portrait über ihn zu drehen. So entstand ein Kultfilm und eine lebenslange Freundschaft zwischen den beiden Künstlern. «Sad-is-Fiction» (1969) zeigt den Maler und Dichter Alex Sadkowsky bei der Arbeit, beim Gehen, Denken und Philosophieren. «Der moderne Mensch steht weder links noch rechts, er geht», heisst es am Anfang des Films, und das tut Sadkowsky dann auch. Dieser wilde, eigenwillige Gehausflug mit Gedanken und Assoziationen von Sadkowsky ist eine Mischung aus Fiktion, Dokumentar- und Trickfilm. Die beiden Filme hätten den freien Geist jener Zeit nicht besser treffen können: verspielt, humorvoll und unkonventionell.
«Swissmade»
Der Episodenfilm «Swissmade» von Yves Yersin, Fritz E. Maeder und Fredi M. Murer bildet den zweiten Programmpunkt. Die damalige Schweizerische Volksbank hatte den Film zu ihrem 100-jährigen Firmenjubiläum in Auftrag gegeben und mit rund 500’000 Franken finanziert. Die drei jungen Regisseure sollten sich mit der Zukunft der Schweiz auseinanderzusetzen, erlaubten sich dabei allerdings einen kleinen Streich: Sie erzählten Geschichten, die zwar in der Zukunft spielen, sich aber mit der damaligen Gegenwart von 1968 beschäftigten – das Resultat ist spannend, irritierend und nicht ganz ironiefrei. Yersin siedelt seinen Film «Celui qui dit non» im Jahr 1980 an. Ein Mann, der 1968 als Revolutionär nach Brasilien ausgewandert ist, kehrt nach 12 Jahren in die Schweiz zurück und muss sich mit dem Wandel in seiner Heimat auseinandersetzen. «Alarm» von Fritz E. Maeder lässt sich zeitlich nicht klar einordnen, widmet sich aber der Frage, wie sich der Mensch als Individuum in einer immer stärker technisierten Welt behaupten kann. «2069» von Fredi M. Murer spielt, wie schon der Titel sagt, im Jahr 2069. Diese Zukunftsvision ist eine scheinbar perfekt funktionierende Schweiz mit devoten Bürgern und lediglich einer kleinen Gruppe von Menschen, die sich gegen das System wehren. Murer selbst sagte über den Film, bei dem sich sein langjähriger Freund H. R. Giger um die Ausstattung kümmerte, er spiele dort, wo sich «die Futurologen und Archäologen gute Nacht sagen.»