Kino | Na putu
Wie viel Religion erträgt die Liebe zwischen zwei Menschen? «Na putu» erzählt von einem jungen Paar im pulsierenden Alltag von Sarajevo, deren zärtlicher Umgang miteinander nicht über die Wunden der Vergangenheit hinwegtäuschen kann.
Synopsis: Das junge Paar Luna und Amar lebt in Sarajevo, 15 Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton. Wie der Flugbetrieb der jungen Air Bosnia, bei der Luna als Flugbegleiterin arbeitet, verläuft auch der Alltag der Verliebten nach Plan. Arbeit, Disko und am Wochenende Riverrafting. Doch nachdem ein Arbeitskollege von Amar, der den Flugbetrieb im Tower regelt, versehentlich einen Schluck aus Amars Kaffeetasse trinkt, fliegt auf, dass er im Dienst trinkt. Amar wird wegen Gefährdung der Flugpassagiere suspendiert. Ohne Arbeit und mit seiner dem Alkohol verschuldeten Unfruchtbarkeit konfrontiert, begegnet er durch Zufall Bahrija, einem Waffenbruder aus dem Krieg. Durch ihn findet Amar in einem Wahhabieten-Camp die Geborgenheit bei Allah und Rückhalt unter seinen neuen Glaubensbrüdern. Während Amar morgens Richtung Mekka betet und die strengen Regeln seiner neuen Glaubensgemeinschaft folgt, steht Luna zwischen einer von medialen Stereotypen geprägten Gesellschaft und ihrer eigenen Toleranzgrenze. Eine Entscheidung zwischen der Liebe zu ihm und ihrer Autonomie scheint unausweichlich. Stars: Zrinka Cvitešić spielt Luna und Leon Lučev (Amar) besetzte schon in Jasmila Žbanićs Spielfilmerstling «Grbavica» (2006) eine tragende Rolle. Regie & Crew: Jasmila Žbanić wuchs selbst in Sarajevo auf und drehte mit der Künstlergruppe und späteren Produktionsfirma «Deblodaka» verschiedene Dokumentarfilme und Videoarbeiten. 2006 wurde ihr Film «Grbavica» an der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.
art-tv-Wertung: «Wie weit gehe ich mit, wenn der Partner beginnt, sich zu verändern», fragt Jasmila Žbanić in diesem Film. Mit dieser Frage als Ausgangspunkt erspürt «Na Putu» die Rolle der Religion, die vor dem Bosnienkrieg «Opium für das Volk» war und nach wie vor Halt und Sicherheit verspricht. War in ihrem Film «Grbavica» die Belagerung Sarajevos noch allgegenwärtig, tauchen die traumatischen Erinnerungen des Krieges in «Na putu» nur noch beiläufig auf. Was Zbanic immer wieder zeigt sind schimmernde Oberflächen: der Glanz einer Cremeschnitte, das Tischdekor im Restaurant oder grossformatige Werbeplakate. Doch zwischendrin werden Friedhöfe und in die Jahre gekommene Plattenbauten gezeigt, durch die sich der Blick auf eine Nachkriegsmoschee aus Stahlbeton öffnet. Der Film versucht über die Figur der Luna Verdrängtes zu erkennen. Dies geschieht geduldig und mit viel Feingefühl. «Na putu» heisst soviel wie «auf dem Weg sein», doch sind die Stolpersteine im Film bisweilen klein und es scheint als wollte Žbanić nicht all zu viel Risiko eingehen, schade. Fazit: Eine Liebesgeschichte in der verborgene Geschichten der bosnischen Gesellschaft verhandelt werden.
Miro Schawalder