Kino | Tetro
Bei Altmeister Francis Ford Coppola sind die Erwartungen gross – «Tetro» überrascht bildästhetisch, auch wenn sich die vorgesehenen ödipalen Konflikte fast schon von selbst lösen.
Synopsis: Als der 17-jährige Bennie (Alden Ehrenreich) in Buenos Aires Halt macht, um seinen älteren Bruder Angelo aufzusuchen, erwartet er nicht, dass dieser längst mit seiner Familie abgerechnet hat. Angelo nennt sich nun Tetro (Vincent Gallo), ein unnahbarer Schwermütiger, der mit seiner seelsorgenden Freundin Miranda (Maribel Verdú) zusammenlebt und längst im unerfüllten Traum ein Schriftstellerdasein zu führen, versumpft ist. Bennie möchte klären, warum sich sein älterer Bruder seit zehn Jahren abgekapselt hat und beginnt, Tetros Vergangenheit auf die Spuren zu kommen. Der eigenbrötlerische Tetro zeigt sich aber alles andere als kooperativ. Doch Stück für Stück geraten die tragischen Geheimnisse ans Licht. Stars: Melancholiker Tetro wird intensiv von Vincent Gallo («Arizona Dream», 1998) verkörpert. Das weitere Cast setzt sich zum grössten Teil aus bekannten und schillernden Figuren der argentinischen Schauspielszene zusammen. Der Österreicher Klaus Maria Brandauer («Out of Africa», 1985) mimt den patriarchalischen Vater. Regie & Crew: «Godfather»-Regisseur Francis Ford Coppola meldet sich nach «Youth without Youth» (2005) mit «Tetro» als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent zurück. Obwohl er sich von autobiographischen Interpretationen distanziert, beziehen sich Teile des Films auf Erinnerungen seiner eigenen Familiengeschichte.
art-tv-Wertung: Was kann eine Familie auseinanderreissen? – Es ist das klassische Motiv der Rivalität. «Tetro» liest sich wie eine griechische Tragödie, doch das Ende fällt bei weitem milder aus. Denn leider ist die Story zu breit ausgewalzt, an manchen Stellen sogar vorhersehbar. Das Drehbuch ist ein wenig alte Schule, doch Coppola ist allen voran ein Ästhet, der beweist, dass er sein Metier beherrscht. Ungewöhnlich im kontrastreichen Schwarzweiss gedreht und wiederrum die Rückblenden bzw. das Vergangene in Farbe getaucht, erzeugt das szenische Arrangement eine sonderbare Spannung. Der Bildinhalt ist jeweils so sorgfältig komponiert, dass es von bedeutungsschwangeren Einstellungen zu strotzen scheint. Ebenfalls tragen die statischen Aufnahmen oder die akribisch herausgearbeitete Beleuchtung zur Wirkung Coppolas Bildsprache bei. Licht ist nicht nur effektvolles Gestaltungsmittel, sondern umfasst als emotionaler Katalysator, Quelle der Wahrheit oder Blendwerk die thematischen Schlüsselpunkte von «Tetro». Dem Minenspiel des Hauptdarstellers Vincent Gallo könnte man stundenlang zuschauen, welches er in den verschiedensten Nuancen mal bewegt tiefgründig, mal freudetrunken ausführt. Darüber hinaus vermögen die Verweise zur Oper, die eingeflochtenen Balletinszenierungen, die die Familientragödie performativ illustrieren oder das plötzlich ausbrechende Theater im Theaterstück den künstlerischen Anspruch dieses Films betonen. Fazit: Ein modernes Filmgedicht, das vor allem die Liebe zum filmischen Handwerk zelebriert.
Martina Felber