Kino | Yo, también
Humorvoll und mit viel Charme konfrontieren sich zwei Regisseure und ihre Protagonisten im Film «Yo, también» mit dem «Anderen».
Synopsis: Voller stolz beginnt Daniel seinen ersten Arbeitstag im Ministerium für Gleichstellung in Sevilla. Wenig später taucht Laura auf, die ihn versehentlich für einen Klienten hält und ihn bittet ihr den Arbeitsplatz zu überlassen. Denn Daniel wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Am selben Abend feiern Daniels Eltern und er gemeinsam seinen Einstieg in die Berufswelt. Dabei stellt er fest, dass er jetzt nur noch heiraten müsste, dann nämlich wäre er endlich ein ganz «normaler» Mitbürger. Durch den Büroalltag entwickelt sich zwischen Daniel und seiner Mitarbeiterin Laura eine offenherzige Freundschaft. In der Familie von Daniel bricht ein Streit um die enge Freundschaft zwischen dem «Behinderten» und der «Normalen» aus. Denn es ist nicht zu übersehen, dass Daniel sich in Laura verschossen hat, doch wird seiner Liebe von allen Seiten keine glückliche Zukunft prophezeit. Als Daniel auf einer Betriebsfeier Laura auf den Mund zu küssen versucht, zeigt diese ihm denn auch die kalte Schulter, und die Beziehung ist von da an empfindlich gestört. Während Daniels Mutter versucht, ihren Sohn zu trösten, beichtet sie ihm, dass sie nach seiner Geburt nicht damit zurechtkam, einen behinderten Sohn zur Welt gebracht zu haben. Auch Laura, die seit Jahren keinen Kontakt zu ihrer Familie pflegt, wird im Verlauf des Films mit ihrer familiären Vergangenheit konfrontiert. Durch die zwei unterschiedlichen Lebenssituationen mit welchen beide schon lange hadern, finden die zwei erneut zusammen. Stars: Pablo Pineda spielt die Rolle des Daniel. Pablo ist tatsächlich Europas erster Akademiker mit Down-Syndrom. Sein Leben diente als Vorlage für seine Rolle. Lola Dueñas ist Laura. Sie wurde vor allem bekannt durch die Rolle der Sole in Pedro Almadóvars Film «Volver».
Regie & Crew: «Yo, también» ist Álvaro Pastors und Antonio Naharros erster abendfüllender Spielfilm. Mit dem Kurzfilm «Invulnerable» («Unverwundbar», 2005) bei dem Pastor Regie führte und Naharro neben der Hauptrolle die Co-Regie übernahm, gewannen die beiden über 40 internationale Auszeichnungen.
art-tv-Wertung: Zu beginn des Films spricht Daniel vor versammeltem pädagogischen Fachpublikum in folgender Metapher: «Eine Gesellschaft, die ihre Gliedmassen (Randgruppen) abschneidet, ist selbst eine verstümmelte und behinderte Gesellschaft.» Er selbst ist als Akademiker ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft und begreift sich als Sprachrohr der handicapierten Menschen. Doch vermag der Film gerade dort Fragen aufzuwerfen und Widersprüche zuzulassen. Denn Daniel scheitert immer wieder in seinem Bestreben «normal“ zu sein. Doch auch das Glück der gesunden Laura wird behindert: Zwar kann sie mit vielen Männern «Liebe machen», ist aber nicht in der Lage, wirklich zu lieben. Am Ende von «Yo, también» bleibt glücklicherweise kein Appell an die Menschheit. Vielmehr bleiben Fragen: Kann Integration ohne die Verleugnung von Eigenheiten geschehen? Welche Behinderungen produziert das gesellschaftliche Leben selbst? Wackelvideos, die Daniel im Verlauf des Films mit seinem Handy aufnimmt, dienen als subjektive Erinnerungsbilder. Leider ist auch der Rest der Aufnahmen grösstenteils von der Schulter gefilmt, dem Kinopublikum kann es mitunter schwindlig werden. Doch das Schauspielerensemble spielt überzeugend, so auch die Tanzgruppe «Danza Móbile», deren geistig behinderte Tänzerinnen und Tänzer starken Ausdruck in der Körpersprache finden. Fazit: 103 bewegende und ernst zu nehmende Filmminuten, mit einem herausragenden Leihendarsteller in der Hauptrolle.
Miro Schawalder