Spielfilm | So Long, My Son
Familienepos, welches die tiefen Narben unter der Oberfläche der scheinbar bruchlosen chinesischen Erfolgsgeschichte spürbar macht.
Einst waren sie eine glückliche Familie, bis ihr Sohn beim Spielen am Rückhaltebecken eines Staudamms ertrank. Yaojun und Liyun verlassen die Heimat und tauchen in die Grossstadt ein. Auch Adoptivsohn Liu Xing bringt nicht den erhofften Trost, trotzig verweigert er sich den fremden Eltern und verschwindet ebenfalls eines Tages. Immer wieder werden die Eheleute von ihren Erinnerungen eingeholt und kehren schliesslich an den Ort der verlorenen Hoffnungen zurück.
Zum Film
«Wir warten darauf, alt zu werden.» – Ein bitterer Satz, der die Lebenswahrheit von Yaojun und seiner Frau Liyun in knappen Worten zusammenfasst. Das Familienepos «So Long My Son» umschliesst drei Jahrzehnte chinesischer Geschichte. Privates und Politisches verschmelzen, das Individuum gerät ins Getriebe einer Gesellschaft im permanenten Wandel. So führt der Film vom Aufbruch nach der Kulturrevolution in den 1980er-Jahren bis in den prosperierenden Turbokapitalismus der Gegenwart und ist dabei Zeitkritik und Melodram zugleich. In grossen Tableaus macht er die tiefen Narben unter der Oberfläche einer scheinbar bruchlosen Erfolgsstory sichtbar.
Aufgrund der Ein-Kind-Politik, die die chinesischen Behörden verordnet hatten, war Liyun gezwungen, eine Abtreibung vorzunehmen, als sie ein zweites Mal schwanger wurde. Die Operation verlief schlecht, was zur Sterilität der jungen Frau führte. Als danach ihr Bub beim Spielen ertrank, beschloss das Paar, die Industriestadt im Norden zu verlassen. Aus dieser einfachen Anlage entwirft Wang Xiaoshuai (Beijing Bicycle) eine grossartige Sozialchronik, die uns an das Ende der Kulturrevolution zurückführt, um eine Reise ins heutige China zu unternehmen und dabei das Aufkommen des chinesischen Kapitalismus zu erleben. Yaojun und Liyun (verkörpert von den an der Berlinale ausgezeichneten Wang Jingchun und Yong Mei) treten im Spiel zurück, um so die Wirkung des historischen Hintergrundes sich umso stärker entfalten zu lassen. Der Film geht nahe, als Zuschauende glaubt man, die sozialen Folgen der Umbrüche im heutigen China zu spüren.
Stimmen
«Mit ‘So Long, My Son’ kehrt die epische Form ins Kino zurück. Drei Stunden lang sehen wir Menschen bei ihrem Alltag zu, ihrem Glück und ihren Verlusten, ihrem Ringen um Würde und um den Trost der Gemeinschaft. […] Was Wang Xiaoshuais Film schafft, kann keine Streaming-Serie leisten, denn er entwirft in einem einzigen Atemzug eine Welt, wo die Serien nur hechelnd von Station zu Station hüpfen.» – Andreas Kilb, Frankfurter Allgemeine Zeitung | «Eine Grösse und Tiefe, die fast jedem anderen Film fehlte.» – Berliner Zeitung | «Einer der schönsten Filme des Jahres. Der herzzerreissendste.» – Paris Match | «Eine grosse humanistische Fabel, kondensiert und komprimiert im Schicksal zweier Familien. Ein Meisterwerk.» – Kinozeit.