Museum Rietberg | Felsbilder
- Publiziert am 8. März 2021
Während Musik, Tanz und Theater kaum Spuren hinterliessen, haben Fels- und Höhlenmalereien die Jahrtausende überdauert.
Die Entdeckung altsteinzeitlicher Höhlenbilder Ende des 19. Jahrhunderts veränderte die Vorstellungen über die Anfänge von Kunst grundlegend. In einer erweiterten Übernahme vom Frobenius-Institut zeigt das Museum Rietberg die gefeierte Ausstellung «Kunst der Vorzeit – Felsbilder der Frobenius-Expeditionen», nachdem sie bereits mit grossem Erfolg im Berliner Martin-Gropius-Bau und dem Museo Nacional de Antropología in Mexiko City zu sehen war.
«Wie können wir uns in der Ausstellung einer Kunst nähern, die im Original nicht zugänglich ist und ihre Urheber*innen, ihre Beweggründe und ihre Weltwahrnehmung trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse letztlich unbekannt bleiben? Unsere Ausstellung eröffnet eine Vielzahl an möglichen Zugängen zu den monumentalen Werken aus der Sammlung Frobenius: von Frobenius’ ursprünglicher Faszination und den ‹Originalkopien› seiner Expeditionen über die persönlichen Beweggründe der beteiligten Künstler*innen bis zur Wirkungsgeschichte dieser Felsbildkopien für die Kunst der Moderne und der Annäherung an Felskunst in der Gegenwart». Annette Bhagwati, Direktorin Museum Rietberg
Prähistorische Felsbildkunst
Als der deutsche Ethnologe Leo Frobenius (1873–1938) vor rund hundert Jahren mit seinem Künstler*innen- Team auf abenteuerliche Weise auszog, um prähistorische Felsbildkunst abzumalen, stiess er Grosses an. Nicht unbedingt in der Archäologie, sondern insbesondere in der Kunst – und darüber hinaus in der Suche nach dem, was uns Menschen ausmacht. Die im Museum gezeigte Inszenierung der Dokumentationsarbeit von Frobenius ermöglicht eine einzigartige Begegnung mit Felsbildkunst. Der Rundgang entlang der damaligen Expeditionen führt geografisch durch die Sahara, Südafrika, Papua-Neuguinea, Australien und Europa und zeitlich von der spanischen Höhle Altamira aus dem Paläolithikum bis zu zeitgenössisch genutzten Bildern im australischen Kimberley.
Exquisite Leihgaben
Rund 120, teils meterlange Abzeichnungen der Originalbilder, hergestellt von den Expeditionskünstler*innen zwischen 1913 und den 1950er Jahren, sind wirkungsvoll inszeniert und durch Arbeitsfotos und Expeditionsgegenständen ergänzt. Die Schau beleuchtet vielfältige Aspekte – von direkt geführten Ownership-Diskussionen mit der australischen indigenen Gesellschaft über die Fragen nach angemessenen Schutz- und Dokumentationsmethoden der ältesten erhaltenen Kunstform der Menschheit, des Werts der «Originalkopie», der modernen archäologischen Felsbildforschung, bis hin zur Wirkungsgeschichte der prähistorischen Kunst auf die Avantgarde. Letzteres beleuchtet die Ausstellung insbesondere mit exquisiten Leihgaben aus dem Zentrum Paul Klee in Bern.
Wirkungsgeschichte Kunst
Durch die Übertragung der Felsbildoriginale auf Papier und Leinwand wurde die «Kunst der Vorzeit» transport-, druck- und ausstellungsfähig: in Farbe und in Grossformaten waren sie in gefeierten Ausstellungen in Europa und den USA zu sehen – unter anderem 1937 im New Yorker Museum of Modern Art. Es waren erst die Bildkopien, die der prähistorischen Felskunst zu öffentlicher Aufmerksamkeit verhalfen und damit ihre Rezeption wesentlich prägten. So geht die Ausstellung auch der Wirkungsgeschichte dieser Felsbilder – bzw. ihrer Kopien – für die Kunst der Moderne nach. Für Künstler wie Klee, Giacometti, Baumeister oder Pollock wurden sie, als Kunst der «Primitiven» zu einer bedeutenden Inspirationsquelle, vor allem im Hinblick auf formale Fragen. In der Schweiz hatten Künstler*innen, Museen und das Publikum bereits 1931 Gelegenheit, sich mit dieser Kunst auseinanderzusetzen. Auf der Suche nach einer neuen Formensprache zeigte das Zürcher Kunstgewerbemuseum (heute: Museum für Gestaltung) unter der Leitung seines Direktors Alfred Altherr erstmals eine Ausstellung mit Felsbildkopien des südlichen Afrikas einer Expedition Leo Frobenius’ gemeinsam mit vormoderner und traditioneller Kunst Afrikas. Mit ihrem Fokus auf gestalterische Aspekte, Ornamentik und Materialität gab die Ausstellung in Zürich Impulse für die Rezeption der Felsbilder.
Wiederentdeckung
Als Fotografie und Film in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts technisch heranreiften und von immer grösserer Bedeutung für die wissenschaftliche Dokumentation prähistorischer Felsbildkunst wurden, verschwanden die Frobenius-Dokumentationen im Archiv. Man empfand die unvermeidlichen Verfremdungen der Felsbilder durch die Maler*innen als unwissenschaftlich. Erst die diversen narrativen Turns der Postmoderne haben uns die autonome Qualität dieser Bildwerke wieder nähergebracht. Als «Originalkopien» geben sie nicht nur einen überwältigen Eindruck von der Ausdruckskraft und ästhetischen Wirkung prähistorischer Kunst. Als eigenständige Werke offenbaren sie – bei allem Objektivitätsanspruch – zugleich den Prozess künstlerischer Annäherung und individueller Deutung. Sie gehören durch ihre Wirkungsgeschichte untrennbar zur Kunst unserer Zeit.
Textgrundlage: Museum Rietberg