Neues arttv Vorstandsmitglied | Silvio Gardoni
- Publiziert am 9. Juni 2020
Eine unabhängige Berichterstattung als Kulturvermittlerin
Die arttv Mitgliederversammlung vom 23. Mai 2020 hat Silvio Gardoni als neues Mitglied in den Vorstand gewählt. arttv Chefredaktor Felix Schenker hat den 54-jährigen Berater für Marketing und Kommunikation zum Interview getroffen. Gardoni über die Chancen der Digitalisierung und die Berichterstattung als Vermittlerin zwischen Kultur- und Erlebniswelten.
Silvio Gardoni hat Musik an der HSLU in Luzern und Unternehmenskommunikation an der ZHAW in Winterthur studiert. Während über elf Jahren hat er das Programm des Jazz Club Moods mitverantwortet. Er hat nationale Kultur- und Kulturvermittlungsprojekte geleitet und begleitet – für Pro Helvetia, Migros-Kulturprozent, kantonale Erziehungsdirektionen u. w. Als Berater und Projektleiter ist er für Institutionen im Kultur-, Bildungs-, Wohngenossenschafts- und Gesundheitswesen tätig gewesen. Zurzeit arbeitet er für einen auf Non-Profit-Organisationen spezialisierten IT-Dienstleister. Mit seinen weiteren Engagements bewegt er sich an den Schnittstellen von Kultur, Ökologie, digitalen Medien und gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Silvio Gardoni wohnt mit seiner Lebenspartnerin, der Fotografin Andrea Good, und den gemeinsamen drei Teenager in der Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich-Wollishofen.
Felix Schenker: Silvio, erinnerst du dich an deine erste Zusammenarbeit mit arttv.ch?
Ja, vor Jahren habe ich im Rahmen von Förderprojekten Tourneen mit Konzerten in allen Sprachregionen der Schweiz organisiert mit aufstrebenden jüngeren Schweizer und international bekannten Jazzmusikern. arttv.ch hat dazu Clips mit Bandportraits und Live-Mitschnitten der Konzerte produziert. Die Clips haben wir dann auf diversen Websites und auch über die damals noch jungen Social-Media-Kanäle publiziert. Das hat geholfen, das Ansehen der Schweizer Musiker ausserhalb ihres lokalen Umfelds zu stärken. Auch in der Folge hatte ich dann immer wieder die Gelegenheit gehabt, mit euch im Kontext der Kulturförderung und -vermittlung zusammen zu arbeiten.
Was reizt dich an der Vorstandsarbeit bei arttv.ch?
Ich bin über längere Zeit in Vorstandsgremien von Kulturorganisationen aktiv gewesen und habe meine hauptberufliche Tätigkeit auch im Kulturbereich ausgeübt. Mein beruflicher Fokus liegt heute im Marketing und in der Unternehmenskommunikation vorwiegend für Non-Profit-Organisationen. Das kulturelle Engagement hat mich jedoch bis heute nicht ganz losgelassen. Ich freue mich nun darauf, meine Erfahrungen im Vorstand von arttv.ch auf strategischer Ebene einzubringen. Die Fragen, wie sich Kultur mit digitalen Mitteln vermitteln lässt, treibt mich seit langem um: Wie erhalten künstlerische Inhalte eine grössere Reichweite, bei den Zielgruppen eine erhöhte Wahrnehmung und ein stärkeres Involvement?
Wie schätzt du die Berichterstattung der Medien in der Kultur ein?
Das Internet erfahre ich in diesem Zusammenhang als Fluch und Segen. Ich gehöre zu einer Generation, die sich noch mit Fleiss allen möglichen Rezensionen in den Leitmedien gewidmet hat. Diese traditionelle Berichterstattung ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Anderseits sehe ich heute eine unglaubliche Medien- und Meinungsvielfalt. Dank Blogs, Social-Media-Plattformen und Onlineforen ist der Diskurs publik und alle können partizipieren. Sich hier zu involvieren ist jedoch mit einem erheblichen Aufwand verbunden. So verlaufen wertvolle Diskussionen oft innerhalb einer überschaubaren Runde von Spezialisten. Das weitere potentielle Publikum ausserhalb dieser Blase bleibt davon unberührt. Unabhängig von diesen Beobachtungen nehme ich ein Bedürfnis nach Berichterstattung wahr und zwar beidseitig – bei den Rezipienten und den Produzenten. Angesichts des unüberschaubar grossen Kulturangebots spielt die Berichterstattung mit der Auswahl und der Verortung künstlerischer Inhalte eine gesellschaftlich wichtige Rolle.
Welche Entwicklungsmöglichkeiten siehst du?
Ich sehe grundsätzlich zwei Tendenzen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Zum einen ist der Kulturbetrieb seit Jahren von einer Bewegung hin zur Grösse und Machtkonzentration geprägt: Festivals, Grosskonzerte, Biennalen, Blockbuster-Ausstellungen etc. Es geht darum, ein möglichst grosses Publikum zu erreichen und selbstverständlich auch darum, Geld zu verdienen. Einige dutzend Agenturen, Galerien und Kulturdienstleister diktieren weltweit den Markt. Das führt aber auch zu einer gewissen Einfalt: Ich höre und sehe mir in den Kulturmetropolen in Europa und in der ganzen westlichen Welt die gleichen oder sehr ähnliche Produktionen an. Nicht zuletzt mischen hier auch die grossen Medienhäuser mit, indem sie nicht mehr nur Kultur bewerben und besprechen, sondern auch gleich selber veranstalten und produzieren. Als Gegenbewegung sehe ich die zahlreichen kleineren bis mittleren Kulturproduktionen. Sie finden nur dank einem grossen persönlichen und finanziellen Einsatz der direkt Involvierten statt. Gerade mit den digitalen Mitteln können diese Kultur-KMU eine weitere Öffentlichkeit erreichen.
Für die unabhängige Berichterstattung sehe ich Chancen als Vermittlerin, wenn es gelingt, diese beiden Kulturwelten und auch weitere Erlebniswelten des Publikums miteinander zu verbinden und ihre Qualitäten erfahrbar zu machen. Die visuelle Komponente spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Kulturvermittlung wird in Zukunft noch weniger über Text und noch mehr über das bewegte Bild und über Interaktion stattfinden.