Beat Hirt | Willhelm Tell
Filmproduzent Beat Hirt war mit seinem Musical «Tell!» der Zeit voraus. Die Schweiz reagierte mit Empörung auf die «Verrockung» ihres Nationalhelden.
Während in der Schweiz das Projekt Schiffbruch erlitt, zeigte sich die Presse in unserem nördlichen Nachbarland begeistert. «Wilhelm Tell, der in Jeans auftritt, es mit der schönen Stauffacherin treibt und mit den Eidgenossen auf dem Rütli Krach kriegt, ist als herrlicher Ulk angekommen.» so das Hamburger Abendblatt und die Kieler Nachrichten vermerkten: «Die Choreografie riss das Publikum förmlich von den Stühlen. Der Discotheken-Sound fetzte.»
Die Macher
Als die Rock-Musik auf dem europäischen Kontinent laufen lernt, sind Autor Beat Hirt und Musiker Tommy Fortmann vorne dabei. Hirt als Ideengeber und Mitbegründer der Jugendzeitschrift «Pop» (später „Pop/Rocky“) während Fortmann der Zeit mit seiner Kult-Band «Demon Thor» musikalisch vorauseilt. Den beiden Schweizern gelingt es, für ihr Musical-Projekt Alexis Korner zu begeistern. Er ist das Urgestein des englischen Rhythm’n’Blues. Auch Udo Lindenberg signalisiert «alles klar!» und steigt ein. «Tell!» ist auch ein Bühnen-Projekt. Finanziert wird die Produktion durch die «Tell Musical AG», die eigens dafür gegründet wird. Zu deren Aktionären gehören u.a. Freddy Burger, Jürg Marquard und Udo Jürgens. Produktionsleiter ist André Béchir. Mit dem Team seiner damals blutjungen Firma Good News AG.
*Musical-Tell auf der Bühne *
Die «Tell!»-Uraufführung fand am 31. Juli 1977 in Zürich statt. Der Schweizer Presse war das Vorhaben nicht geheuer und reagierte mit kollektiver Empörung auf die «Verrockung» des Schweizer Nationalhelden. Weil das News-Angebot im Sommer ausgedünnt ist, kommt den Redaktionen das freche Musical als Zielscheibe gerade recht. Aus den Kultur-Bunkern der Gazetten wird extrem scharf geschossen. Die Kritiker lassen kein gutes Haar an der innovativen Produktion. Dass die Uraufführung am Vorabend des Schweizer Nationalfeiertags stattfindet wird als Schändung dargestellt.
Absichtliche Provokation?
Natürlich wurde das Datum von den Machern mit Absicht so gewählt. Das Skandal-Geschrei kommt für das «Tell!»-Team nicht überraschend. Die Aufregung hätte auf das Musical aufmerksam machen sollen. Aber die Kritik fällt massiver aus als erwartet; die Zuschauer*innen bleiben weg. Die Reihen im Theater füllen sich erst, als das Schweizer Fernsehen in einer Spezial-Sendung zu «Tell!» Ausschnitte zeigt. Leider zu spät. Der Produktion geht vorzeitig das Geld aus, nach einem Monat ist Schluss.
Zur Handlung
Überall Helden. Auf der Leinwand, in den Sportstadien, in der Politik und im Alltag. Wilhelm Tell fühlt sich bei der «Helden GmbH» in bester Gesellschaft und geniesst seinen Status als treffsicherster Armbrustschütze der Welt. Regelmässig wird er irgendwo von irgendwem gefeiert (Sag uns). Als ihn der Gitarrist der Begleitband während einer solchen Feier auf offener Bühne unerwartet mit unangenehmen Fragen belästigt (Tellenlied) lässt Tell den geplanten Show-Auftritt platzen. Damit alles wieder ins Lot kommt, wird die «beleidigte Leberwurst» zu einem TV-Talk eingeladen. Vom Talk-Master Rey Porter lässt sich Tell gar dazu überreden, bald vor laufender Kamera sein Können als Meisterschütze zu demonstrieren.
Zuhause sorgt sich unterdessen Hedwig Tell um die Familie. Dem Helden-Gebaren ihres Gatten vermag sie nichts abzugewinnen (Helden). Seinem Sohn Walter versucht Tell zu erklären, warum es ihm schwerfällt an Freundschaft zu glauben und warum auch Freunden nicht zu trauen ist (Amigo). Die vereinbarte Apfelschuss-Demonstration wird weltweit im Fernsehen übertragen. Tell schiesst einen Apfel vom Kopf seines Sohnes. Die Leistung wird vom Volk frenetisch gefeiert (Rock Tell). Der hautnahen Bewunderung, die ihm die Gattin seines Kollegen Werner Stauffacher entgegensingt (Unsere Welt will immer nur Gewinner sehen) kann sich Tell nicht entziehen.
Der Gitarrist meldet sich bei Landvogt Gessler und lässt sich von ihm vorrechnen, die Weltgeschichte habe nicht auf einen wie Tell gewartet. Es habe schon immer spektakulärere Armbrust-Schüsse gegeben. Der norwegische König «Harald, der Harte» habe zum Beispiel erfolgreich eine Nuss vom Kopf seines Bruders geschossen (Schüsse). Der hinterlistige Gitarrist konzentriert sich nun erst recht darauf, Tells Ego zu kitzeln. Der erfolgreiche Apfelschuss sei ihm doch eigentlich nur zufällig gelungen, hält er ihm vor (Tell, was wär’ passiert?). Tell soll das Gegenteil beweisen und den Apfelschuss wiederholen. Das geht schief. Tell trifft nicht den Apfel sondern den Kopf seines Buben. In seinem Schmerz und seiner Hilflosigkeit gibt Tell gleich noch einen zweiten Schuss ab. Er trifft Gessler mitten in die Brust.
Tell taucht ab (Tells Flucht). Der Landvogt ist aber nicht tot, erholt sich und waltet weiterhin seines Amtes. Aber der Aufstand der Eidgenossen gegen den Vogt scheint nun doch Fahrt aufzunehmen. Die Männer von Uri, Schwyz und Unterwalden treffen sich auf dem Rütli, um über die Beseitigung des Tyrannen zu beraten. Das Treffen wird leider von eigenen Interessen und Problemen der Anwesenden überschattet. Als Werner Stauffacher über das Zerwürfnis mit seiner Frau klagt, unterstützen ihn die Kollegen. Gemeinsam definieren sie ihr wirkliches Problem: die Frauen (Weiberrock). Sie trennen sich ohne eine Lösung gefunden zu haben. Tell, der nach dem verhängnisvollen Schuss auf Gessler im Untergrund lebt, trifft sich heimlich mit Gertrud Stauffacher, seiner Geliebten. Gertrud motiviert ihn, Gessler zu beseitigen. Um ihr seine Zuneigung zu beweisen, willigt er ein.
Als der Landvogt am Abend müde und gelangweilt durch die Hohle Gasse zu einer Party reitet (Gesslerlied), lauert er ihm auf. Tell ist extrem nervös, erkundigt immer wieder über Funk beim Gitarristen nach Gesslers aktuellem Standort (Hallo Uri Uno). Endlich taucht Gessler auf. Es kommt zum Showdown. Tell gelingt es nun, den verhassten Tyrannen mit der Armbrust endgültig zu erledigen. Die Rache der Habsburger am Volk der Hirten lässt nicht lange auf sich warten. In der Schlacht am Morgarten findet das Katz-und-Maus-Spiel ein Ende. Mit einer Heldenparade im Schlachtgetümmel (Wilhelm Tell) schliesst sich der Kreis.
Die Macher: Beat Hirt (links) mit Tommy Fortmann.
Udo Lindenberg und Autor Hirt: Besprechung einer Textpassage
Tommy Fortmann und Romy Haag. die auf der CD Hedwig Stauffacher interpretiert.