Retrospektiven
- Publiziert am 19. Februar 2021
Das Festival feiert das Schaffen der mexikanisch-salvadorianischen Filmemacherin Tatiana Huezo Sanchez und des Italieners Pietro Marcello.
Zwei grosse Retrospektiven rufen dem Publikum die Filme der beiden Cineasten ins Bewusstsein. Sánchez Filme sind Portraits ihres Landes und prangern schonungslos die Mechanismen des Terrors an. Das Werk des italienischen Filmemachers Marcello ist von seinem tiefen Interesse an Literatur und Kunstgeschichte durchdrungen. Der Reichtum ihrer filmischen Horizonte ist auch Gegenstand von zwei öffentlichen Masterclasses, welche die Filmprogramme des Festivals traditionellerweise begleiten.
Tatiana Huezo Sánchez
Die in El Salvador geborene und in Mexiko lebende Tatiana Huezo Sánchez erlangte internationalen Ruhm mit ihrem ersten Spielfilm «El lugar más pequeño», der 2011 bei Visions du Réel seine internationale Premiere feierte und den Grand Prix für den besten Langfilm gewann. Aufgrund dieses Erfolges wurde der Film von mehr als 80 Festivals weltweit programmiert. Nach dem Kurzfilm «Ausencias» (2015) führte sie Regie bei «Tempestad» (2016), der seine Weltpremiere bei der Berlinale (Sektion Forum) hatte und vier Premio Ariel gewann, die von der Academia Mexicana de Artes y Ciencias Cinematográficas vergeben werden. In den letzten Jahren hat Sánchez in verschiedenen internationalen akademischen Kontexten Filmwissenschaften unterrichtet sowie das Buch «El Viaje, rutas y caminos andados para llegar a otro planeta» geschrieben, in dem acht Dokumentarfilmer*innen von ihren kreativen Prozessen berichten. Im Jahr 2021 feiert ihr Spielfilm «Noche de fuego» seine Premiere.
Pietro Marcello
Pietro Marcello wurde 1976 in Caserta in Kampanien geboren. Er studierte zunächst Malerei an der Akademie der Schönen Künste in Neapel. Seine ersten Sporen verdiente sich der Autodidakt im Rahmen der «partizipativen Videos», die in den Gefängnissen gedreht wurden, in denen er als Lehrer tätig war. Der internationale Durchbruch
gelang ihm schliesslich 2009 mit «La bocca del lupo», der in Turin und bei der Berlinale (Sektion Forum) prämiert wurde. Das in Locarno selektionierte und in Roche-sur-Yon mit dem Jurypreis ausgezeichnete Werk «Bella e perduta» (2015) machte ihn einem breiteren Publikum bekannt. «Martin Eden», adaptiert nach dem gleichnamigen Roman von Jack London, wurde 2019 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig präsentiert und stiess auf grossen Kritikererfolg. Mit diesem Film schaffte Marcello den Wechsel in die Fiktion, er ist dem Dokumentarfilm jedoch nach wie vor eng verbunden. Sein neues Werk «Per Lucio», ein Dokumentarfilm über Lucio Dalla, wird bei der Berlinale 2021 vorgestellt.
Terror und Literatur
Mit Tatiana Huezo Sánchez präsentiert Visions du Réel eine Filmemacherin, deren künstlerische Verbindung zum Festival so langjährig wie eng ist, mit Pietro Marcello wiederum einen abenteuerlustigen Regisseur mit einer aussergewöhnlichen Laufbahn. Die Arbeiten der beiden Filmschaffenden stehen in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit für die künstlerische Bedeutung und die Vielfalt der Landschaft des zeitgenössischen Dokumentarfilms.
Mit einem ebenso engagierten wie persönlichen Werk zeichnet Tatiana Huezo Sánchez ein Porträt ihres Landes und prangert schonungslos die Mechanismen des Terrors an. Mit grosser Feinfühligkeit und Empathie gelingt es ihr mit einer poetischen und sensiblen filmischen Sprache, Abwesenheit, Gewalt und Leid sichtbar zu machen.
Pietro Marcellos Werk siedelt sich in einer formal kühnen und sinnlichen zeitgenössischen – oft dokumentarischen – italienischen Filmszene an (Alice Rohrwacher, Michelangelo Frammartino, Roberto Minervini usw.). Es ist von seinem tiefen Interesse an Literatur und Kunstgeschichte durchdrungen und erfindet die Codes des Films mit Humanismus, Romantik und grosser künstlerischer Freiheit immer wieder neu.