JA zum Filmgesetz | Interview | Joël Jent
- Publiziert am 4. Mai 2022
«Filme sind eine Visitenkarte unseres Landes, Botschafter für die Schweiz, aber auch Brückenbauer – innerhalb und ausserhalb des Landes.»
Der Regisseur und Produzent Joël Jent engagiert sich seit Jahren mit anderen Filmschaffenden für die Schweizer Filmszene. Das Filmgesetz, das nun zur Abstimmung kommt, hat er wesentlich mit geprägt und ist prominenter Teil der «Ja»-Kampagne. arttv verrät er, wieso sie es im Abstimmungskampf schwer haben, was an ihren Argumenten ungewöhnlich ist und welches Potenzial er im neuen Filmgesetz sieht.
Nach seiner neusprachlichen Matur mit Schwerpunkt in Spanisch studierte Joël Jent (*1983) von 2004 bis 2010 Politikwissenschaft, Philosophie, Filmwissenschaft und Sozial-/ Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich. 2010 folgte erfolgreicher Abschluss des Studiums mit Master of Arts/ Lizenziat. Danach arbeitete Joël Jent kurzzeitig als Journalist. Seit 2003 produzierte er mehrere Kurzfilm-, Dokumentar- und Spielfilmprojekte, darunter auch eigene Regie- und Schreibarbeiten. Er produzierte Samirs preisgekrönte Filme «Bagdad in my Shadow» und den 3D-Dokumentarfilm «Iraqi Odyssey», sowie die 2017 und 2018 für die Academy Awards® Shortlist ausgewählten Kurzfilme «Bon Voyage» und «Facing Mecca» (Student Academy Award Gewinner 2017). Im Jahr 2014 erschien sein Buch «Stanislawski und Film». Seit 2017 lehrt Joël Jent an der Zürcher Hochschule der Künste und ist Mitglied der Europäischen- sowie der Schweizer Filmakademie. Er arbeitet als unabhängiger Drehbuchautor und Filmemacher und ist Vater eines Sohnes. Joël Jent ist Alumni der Zurich Master Class (2006), sowie des Hezayah Screenwriting Lab (2021).
Joël Jent im Interview
von Silvia Posavec
Die Abstimmung zur «Lex-Netflix» steht vor der Türe, die Argumente überschlagen sich in den Medien – ich will aber zurückgehen und fragen: Wie hat die ganze Diskussion eigentlich angefangen?
Wir vom Swiss Fiction Movement sind ja schon sehr lange am Thema dran. 2018 haben wir ein Dokument veröffentlicht, in dem wir uns vertieft mit der Digitalisierung und den Folgen für die Schweizer Filmbranche auseinandergesetzt haben. Die wichtigsten Filmverbände (ARF/FDS, SFP, GARP, IG Filmproduzenten) haben unsern Vorstoss damals unterzeichnet. Wir haben uns gefragt: Was müssen wir aus der Schweiz heraus machen, damit der Schweizer Film und unsere Branche die Transformation ins digitale Zeitalter schaffen. Denn die Veränderungen sind disruptiv, im Nutzungsverhalten hat es ganz offensichtlich eine umfangreiche Verschiebung von Kino zu Streaming gegeben. Netflix allein hat mit 2,6 Mio Nutzer:innen in der Schweiz eine unglaubliche Marktdominanz. Wir haben damals schon versucht, die Digitalisierung als Chance zu verstehen und nicht als Bedrohung. Deshalb kam sehr früh der Ruf von uns, dass in einem kleinen Markt wie der Schweiz eine Regulierung unumgänglich ist.
Ob ein Markt eine Regulierung braucht, kommt oft ja schon einer Glaubensfrage gleich, wieso sind Sie sich da so sicher?
Die Entwicklung ist so stark und so disruptiv, dass man sie regulieren muss. Streaming-Anbieter sind schnell gewachsen, dass sie sich nicht in allen Ländern entwickelt haben. Mit ihrer Hub-Strategie konzentrieren sie sich auf die grössten Märkte und Länder, von denen aus sie arbeiten und produzieren. Das kommt einer Diskriminierung der kleineren Länder gleich. In der EU wurde das schnell erkannt, 2018 hat man entsprechende Richtlinien in Kraft gesetzt, die es den einzelnen Ländern ermöglicht, korrigierend einzugreifen. Da gibt es ganz unterschiedliche Modelle: Die einen haben eine Abgabe gemacht, andere haben Auflagen zu Investitionsverpflichtungen oder kombinierte Lösungen eingeführt. Wichtig ist: Die Mehrheit der EU-Länder und auch unsere Nachbarländer haben bereits eine Lösung in Kraft. Wenn wir in der Schweiz keine vergleichbaren Richtlinien einführen, dann sind die Aussichten effektiv sehr dramatisch für unsere Branche, weil wir dann nicht nur durch die Grösse benachteiligt sind, sondern auch noch, weil wir keine vergleichbare Regulierung hätten. Der Filmmarkt in Europa hat nichts mit freier Marktwirtschaft zu tun: Es ist ein Verdrängungsmarkt zwischen Ländern und wir müssen schauen, dass wir Investitionen ins Land holen können. Käme es zu einem «Nein» zum Filmgesetz, würde es eine Schrumpfung geben. Wir würden de facto den Streaming-Markt unseren Nachbarländern überlassen.
Dabei ist die Lage der Filmschaffenden in der Schweiz bereits jetzt nicht die einfachste, oder?
Ganz klar, es gibt jetzt schon einen Exodus von Filmschaffenden ins Ausland, weil hier die Lebenshaltungskosten zu hoch sind. In der Schweiz arbeitet man im Film im Niedriglohnsegment, da ist die Existenz nicht einfach. Manche Filmschaffende müssen im Alter weiterarbeiten, weil sie über keine ausreichende Altersvorsoge verfügen. Gleichzeitig werden die Jungen im Film zu wenig gefördert. Kurz gesagt hat das Schweizer Filmschaffen auch ein Generationenproblem. Letztlich gibt es aber auch nur Platz für eine sehr kleine Anzahl an Filmschaffenden. Der Platz hängt direkt mit dem Fördervolumen in der Schweiz zusammen. Wenn es jetzt zu Investitionen der Streaming-Anbieter käme, dann würden pro Jahr etwa CHF 18 Mio nicht mehr nach Kalifornien abwandern, sondern hinzukommen. Es würde mehr produziert werden. Aber nicht einfach nur mehr, sondern auch neue Stimmen und vor allem innovative Erzählformen für Geschichten, die ein internationales Potential aufweisen.
Sie rechnen also mit einem Entwicklungsschub für die Schweizer Filmszene?
Ja, denn am Ende ist es das, was wir schon immer sagen: eine Chance. Wenn das Filmgesetz angenommen wird, wird sich die Produktionslandschaft in der Schweiz verändern. Die Geschichten werden sich verändern, weil wir Filmschaffenden mit einer ganz anderen Auswertung arbeiten können. Während sich das traditionelle Fördersystem klar an Festival/Kino und TV ausrichtet, kommt neu ein internationales Publikum hinzu, dass die Streaminganbieter zu bedienen wissen. Es würde mehr gedreht, das Volumen würde grösser. Mehr Produktionen, führen zu mehr Erfahrung; mehr Erfahrung resultiert in eine höhere Qualität – das ist garantiert so! Filmen lernt man, wenn man es macht. Nur dann kommt es zu spannenden und erfolgsversprechenden Entwicklungen, denn die Erfahrung ist ein nicht wegzudenkender Bestandteil dieses Prozesses.
Ist die Kampagne auch eine Möglichkeit, auf das Filmschaffen in der Schweiz generell aufmerksam zu machen?
Ja, wir versuchen die positiven Aspekte des Films in Erinnerung zu rufen und Film von seiner identitätsstiftenden Seite zu betrachten, denn er hat vor allem auch eine kulturelle Dimension. In unserer Kampagne arbeiten wir deshalb auch mit dialogischen Filmausschnitten aus Schweizer Filmen, die die Vielfalt der Szene widerspiegeln. Regisseur:innen aus allen Landesteilen haben sich beteiligt und Szenenfragmente ihrer Filme mit spezifischen Botschaften gekoppelt. Es ist eine Sammlung von liebevollen kleinen Szenen-Spots entstanden. Jeden Tag schalten wir einen neuen auf. So wird der Abstimmungskampf auch ein bisschen zur Entdeckungsreise im Schweizer Filmschaffen.
Wie erleben Sie die Abstimmungskampagne bisher?
Das Problem ist die Ausgangslage, die wir haben. Wir sind eine «Ja»-Kampagne. Die Gegner agieren, indem sie Zweifel streuen und haben schon dann gewonnen, wenn einige Zweifel haften bleiben. Gleichzeitig versuchen sie Filmschaffende als Subventionsprofiteure und den Film als Hobby darzustellen. Sie versuchen Film in jeder Form klein zu halten. Dabei verneinen sie die konstituierenden Elemente, die der Film für die Kultur hat, für die Identität und für die Erhaltung der Tradition – eigentlich sehr bürgerliche Themen.
Ist es eine verkehrte Welt, in der Kulturschaffende mit wertkonservativen Positionen in einen Abstimmungskampf gehen?
Absolut, ja. Aber andererseits, was schafft eigentlich wirklich Identität in einem Land? Was verbindet uns, wieso gibt es einen Röstigraben, wieso gibt es die Fragmentierung durch die Sprachen? Die Regionen haben in unserem Land durch den Föderalismus eine grössere Bedeutung als anderswo. Was hält uns zusammen? Es ist die nationale Kultur, die wir pflegen. Film ist ein wichtiger Bestandteil dieser nationalen Kultur. Denn er schafft es, der stark regionalen Prägung der Schweiz entgegenzuwirken.
Gleichzeitig darf man nicht so tun, als würde man bei Schweizer Film über die sogenannten «Heimatfilme» sprechen …
Der Heimatfilm ist fester Bestandteil des Schweizer Filmschaffens. Aber das Schaffen ist divers. Es umspannt trotz der überschaubaren Grösse eine Diversität an Themen, Genres und Formen. Der erfolgreichste Schweizer Film ist aber immer noch «Die Schweizermacher» und das ist kein Heimatfilm. Film hat in der Schweiz immer auch eine diskursive und kritische Kraft gehabt, viele Autorenfilme haben diese Tradition gepflegt und fortgeführt. Der Heimatfilm aber arbeitet mit einer Überhöhung der Tradition. An sich ein Element, das vor allem in der Deutschschweiz gut zu funktionieren scheint. Ich glaube, das hat auch viel mit Sehnsucht zu tun. Dass aber lokale Inhalte auch international ein riesiges Erfolgspotenzial haben, das hat auch Netflix plötzlich festgestellt mit Serien, die sie in Südkorea oder Spanien gedreht haben und die rund um die Welt erfolgreich wurden. Auch die Schweiz kann einen solchen Erfolg vorweisen: «Wolkenbruch» etwa wurde von Netflix gekauft und hat auf der Plattform in der Zwischenzeit über 12 Mio Streams erreicht.
Sie sind also überzeugt, dass man das Stimmvolk vom Potenzial der Schweizer Filmschaffenden überzeugen muss?
Ja, die Schweiz ist eines der letzten Länder, die eine eigene Filmindustrie aufgebaut hat. Wachstum und Erfolg der letzten Jahrzehnte sind noch sehr jung. Es ist wichtig, das Potenzial, das der Film als verbindende Kraft hat, aufzuzeigen und gleichzeitig darauf hinzuweisen: Hey, es entsteht da etwas sehr Starkes, aus sehr wenig! Wir haben nicht viele Filme, aber die, die wir haben, die reisen erstaunlich viel und können viel bewirken. Filme sind eine Visitenkarte unseres Landes, Botschafter für die Schweiz, aber auch Brückenbauer – innerhalb und ausserhalb des Landes. Da besteht ein Potenzial, das noch viel grösser wird, wenn wir den internationalen Marktzugang über die Streaming-Anbieter erhalten. Es ist vor allem aber auch ein Wirtschaftsvorlage: Die internationalen Anbieter haben ein Investitionsvolumen beschlossen, nun gilt es möglichst viel davon in die Schweiz zu holen, damit auch hier lokale Wertschöpfung entsteht. Denn Filmprodutionen führen zu Arbeitsplätzen, KMU-Aufträgen und können auch den Tourismus ankurbeln. Zudem schafft es das Filmgesetz, gleiche Bedingungen für in- und ausländische Anbieter zu schaffen. Hier ist dringend eine Korrektur nötig. Denn die internationalen Anbieter unterhalten hier weder Niederlassungen, noch Arbeitsstellen, noch bezahlen sie Unernehmenssteuern. So ist das Signal des Filmgesetzes in dieser Hinsicht klar und deutlich: Wenn ihr hier wirtschaften wollt, müsst ihr auch etwas zur Wertschöpfung innerhalb des Landes beitragen. Und das ist sicher in jeder Hinsicht wünschenswert.