Kino | Roman Polanski: Wanted and Desired
Roman Polanski und sein Leben: Ein Drama mit ungewissem Ausgang.
Synopsis: Los Angeles 1977: Ein erschütternder Vorwurf gegen Roman Polanski erregt Aufsehen. Er wird beschuldigt, die dreizehnjährige Samantha Geimer während eines Fotoshootings mit Drogen gefügig gemacht und anschließend vergewaltigt zu haben. Nach der Ermordung seiner Frau durch die Manson-Gang, war dieser Vorfall ein weiterer dramatischer Einschnitt im Leben des Starregisseurs, der den Holocaust überlebte, schließlich in den USA landete und dort mit „Rosemary’s Baby“ Weltruhm erlangte. Polanski wird verhaftet und angeklagt. Der Prozess ist von Absprachen und öffentlichen Inszenierungen geprägt, die ein faires Verfahren unmöglich machen. Bestes Beispiel dafür ist der nach medialer Aufmerksamkeit gierende und als korrupt geltende Richter Laurence Rittenband, der den Regisseur zu neunzig Tagen Gefängnis verurteilt. Als Polanski nach zweiundvierzig Tagen wieder freikommt, fürchtet Rittenband um seinen Ruf und verhängt weitere achtundvierzig Tage Haft. Doch Polanski verlässt die USA am 1. Februar 1978 und flieht nach Frankreich. Er wird nicht mehr zurückkehren. Stars: Polanski selbst kommt ebenso wie Rittenband nur in Archivaufnahmen zu Wort. Das Opfer Samantha Geimer, deren Anwalt Douglas Dalton und andere Beteiligte wie Staatsanwalt David Wells, äußern sich in Interviews über die Ungereimtheiten des Falls und decken mit ihren Aussagen auf, wie sich der Prozess immer mehr zu einer auf Medienwirksamkeit bedachten Farce entwickelte. Regie: Marina Zenovich, die schon in der Vergangenheit Persönlichkeiten der Kulturszene wie David Lynch portraitierte, wurde mit ihrem ersten großen Werk «Wanted and Desired» u.a. bereits mit dem Emmy ausgezeichnet. Für einen zweiten Film, in dem Polanski selbst interviewt werden sollte, recherchiert die Regisseurin zurzeit in Zürich. Die Fortsetzung ist aufgrund Polanskis erneuten Verhaftung jedoch bislang unsicher.
art-tv-Wertung: «Wanted and Desired» zieht seine Spannung aus der aktuellen Brisanz des Falls. Die Festnahme Polanskis in Zürich vor wenigen Wochen, die folgende Debatte in den Medien und die ausstehende Entscheidung über seine Auslieferung waren ausschlaggebend für das erneute Anlaufen der Dokumentation in den Schweizer Kinos. Der Film liefert einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung – gerade dieser Tage, wo zwei Extreme den medialen Diskurs prägen: Einerseits der Ruf nach Vergeltung, der Polanski als zwielichtigen Unmenschen diskreditiert («wanted»), andererseits die Forderung nach Amnestie, die sich auf Polanskis großartiges künstlerisches Werk beruft («desired»). Zenovich hingegen rekonstruiert den Prozess äußerst detailliert und ausgewogen, ohne Polanskis Tat zu relativieren oder den Regisseur als entmenschlichtes Monster darzustellen. Sicher: im Fokus stehen die Schicksalsschläge in Polanskis Leben, der unverantwortliche Umgang der Medien mit seiner Person und ein ebenso unfaires wie rechtlich fragwürdiges Verfahren. Am Ende ist es glücklicherweise dem Zuschauer überlassen, sich ein Urteil zu bilden. Insgesamt ist «Wanted and Desired» mehr als eine Prozess-Rekonstruktion: Es ist vor allem ein brillanter Film über Polanskis Leben als umstrittene Berühmtheit und eine eindrückliche Dokumentation über die durch mediale Sensationsgier gelenkte und korrumpierte Justiz. Ohne Off-Kommentar und mithilfe von Dramatik erzeugender Schnitte sowie einer großartigen musikalischen Untermalung, gelingt Zenovich eine außergewöhnliche Aufarbeitung des Falles und eine differenzierte Sicht auf ein folgenschweres Ereignis im Leben eines ohnehin vom Schicksal herausgeforderten Menschen. Fazit: Ein Muss für alle, die sich mit Polanskis Werk beschäftigen oder die Debatte über dessen Schuld aufmerksam verfolgt haben – ebenso für jene, die einfach einen fesselnden Dokumentarfilm sehen möchten.
Maximilian Haase