Lausanne Underground Film & Music Festival | Jubiläumsausgabe
- Publiziert am 12. Oktober 2021
Ein Festival als Instrument des Widerstands
Das LUFF feiert sein 20-jähriges Bestehen mit der Präsentation von künstlerischen Projekten, die durch ihre Unverfrorenheit oder ihr extremes Experimentieren mit Bild und Ton verstören. Diese Jubiläumsausgabe findet im Casino de Montbenon sowie an verschiedenen Orten in Lausanne statt und bietet dem Publikum ein hybrides Programm, das sich durch die Mischung von Filmen, Klangperformances und Workshops von kinematografischen und musikalischen Normen abhebt.
Das OFF-Programm bildet das kostenlose Rahmenprogramm der 20. Festivalausgabe und findet auf dem freien Vorplatz des Casinos von Montbenon, dem Epizentrum des Festivals, statt. In Form von künstlerischen Installationen und audiovisuellen Performances, die zwischen tiefen Bässen und weiten
Klangteppichen oszillieren, wird uns das post-punkige, anti-konformistische, biomorphe und neo-organische Programm mit seiner kabarettistischen Atmosphäre in den pulsierenden Sog eines Universums aus Ekels, Dekonstruktion, Exzess und Entlastung ziehen.
Festivalüberblick
Das Filmprogramm besteht aus fünf internationalen Wettbewerben, darunter fünf Spielfilme und insgesamt 35 Kurzfilme, eine internationale Premiere und zehn Schweizer Premieren. Das Filmangebot wird durch sieben Cineramas, darunter zwei Cartes Blanches, zwei selektive Rückblicke und ein Programm mit fünf Dokumentarfilmen ergänzt. Auf der musikalischen Seite werden im Festsaal des Casinos und auf der Plateforme10 (MCBA) 22 Klangperformances und vier Workshops in Zusammenarbeit mit programmierten Künstlern angeboten. Zwölf Projekte bilden schliesslich das OFF, den freien Teil des Festivals.
Das Filmprogramm
Seine 20. Ausgabe eröffnet das LUFF mit der Vorführung von «After Blue» von Regisseur Bertrand Mandico, einem phantasmagorischen Science-Fiction-Film, der dem Publikum ein einzigartiges Kinoerlebnis zu bieten verspricht. Die fünf Filme im Langfilmwettbewerb sind eine Reise durch die Zeit und die Genres, vom klebrigen Horror von «Honeydew» über die analoge Komödie «Strawberry Mansion», die in einer dystopischen Zukunft spielt, bis hin zum feministischen Psychodrama «Violation». Der ausufernde Film «Sister Tempest» stellt sich «The Lost Record», das die Geschichte eines Dilemmas nach einem Schallplattenfund erzählt.
Diese Ausgabe ist reich an sorgfältig zusammengestellten Cineramas. Darunter «Christian (Film) Business», das sich mit ‹Christiansploitation› beschäftigt, also der Kunst, Filmproduktionen mit religiöser Propaganda zu vermischen. Ein Höhepunkt des Programms ist die Schweizer Erstaufführung des seltenen Juwels «The Amusement Park». Schon früh inspirierten Folklore, Legenden und Aberglaube Filmemacher auf der ganzen Welt und brachten ein Art von Kino hervor. Im Rahmen dieses, dem Volkshorror gewidmeten Cineramas, wird die Regisseurin die Schweizer Premiere ihres 3h15 Dokumentarfilms «Woodlands Dark and Days Bewitched: A History of Folk Horror» präsentieren. Ergänzend zu diesem filmischen Werk-Sammelsurium werden zwei ausgewählte Retrospektiven die Filmkarrieren der Regisseur*innen Jamil Dehlavi und Sylvia Schedelbauer beleuchten. Ersterer wird seine Werke präsentieren, die in einem einzigartigen Universum verankert sind, in dem das Mystische mit dem Rationalen einhergeht, und die hauptsächlich in Pakistan, der Türkei und auf La Réunion gedreht wurden. Sylvia Schedelbauers Werke hingegen laden ein zum Vertiefen in die Praxis des Found Footage und des sensiblen Zusamentreffens zwischen einer intimen Geschichte und historischem Filmmaterial. Die Regisseurin wird ausserdem während eines in Zusammenarbeit mit der EJMA gegebenes Workshops über ihre Praxis berichten.
Eine Vielzahl von kurzen und langen Dokumentarfilmen wird das diesjährige Programm ergänzen, darunter die internationale Premiere von «Papa Srapa» – so der Künstlername des 60-jährigen anarchistischen Nörglers, der von seinen Kollegen als der grosse elektronische Schamane der russischen Undergroundszene angesehen wird. Nach dem Ausblasen der zwanzig Kerzen und kurz vor Einbruch der Dunkelheit wird das LUFF mit der Schweizer Erstaufführung von Lucile Hadžihalilovićs geheimnisvollem und bissigem drittem grossen Spielfilm «Earwig» in Anwesenheit der Regisseurin abgeschlossen.
Musik und Klangkunst auf dem Festival
Der musikalische Teil des Festivals beginnt mit dem Jubiläumsprojekt des Kollektivs Les Sirènes (20.10), das vom epischen Weg erzählt, um nach technischen, finanziellen und historischen Abenteuer «ans LUFF-Mikrofon» zu gelangen. Das Skript dieser surrealen Dekonstruktion und seiner unendlichen Feedbacks wird von der Kollektion Rip on/off veröffentlicht, dessen Vernissage an selben Abend stattfindet. Diese Ode an das Festival wird mit dem Auftritt des Komponisten Michael Gendreau (20.10.) fortgesetzt, der in einer architektonischen Prospektion die Schwingungen des emblematischen Casino-Gebäudes analysieren und enthüllen wird, um den Montbenon-Hügel aufzurütteln.
Die Klang-Erkundung mit politischem Unterton geht anschliessend weiter und wendet sich dem Thema Rassismus mit zwei afro-futuristischen Performances zu, die zwischen Protestsong und rauem Noise oszillieren. Die aus Philadelphia stammende Poetin und Aktivistin Moor Mother (20.10.) wird den Festsaal mit ihrer eindringlichen Wortgewalt entfesseln. Später am Abend wird Aho Ssan (20.10), ein in Paris lebender elektronischer Komponist, mit Synthese und Simulation spielen, um seine Erfahrungen mithilfe eigener digitalen Instrumente zu übersetzen. Am Donnerstag werden Brutalität und Intensität die Leitmotive sein. Das Duo Stephanie Bayle und Denis Rollet (21.10.) bietet eine Performance, in der angespannte Körper eine einzige Bewegung erzeugen, die sich spiegelbildlich, sich gegenüberstehend, vom Dunkel zum Licht bewegt. Die Bühne wird ebenfalls mit den Klängen eines anderen starken Künstlerpaares in Resonanz gebracht – Lydia Lunch & Ian White (21.10.). Die No-Wave-Diva, die seit den Anfängen des LUFF ihren Virus in dessen DNA injiziert, wird in dem Dokumentarfilm «Lydia Lunch: The War Is Never Over» zu sehen sein und ihr gleichnamiges Buch in der Buchhandlung HumuS (22.10.) signieren. Und dann wird Ryoko Akama (22.10.) in fast völliger Stille, ohne Soundsystem, live mit der Energie von Büroklammern, Gummibändern, Kochplatten und Fernsehbildschirmen schnitzen. Ihr folgt Jessica Ekomane (22.10.), eine in Frankreich geborene und in Berlin lebende Klangkünstlerin, mit einer minimalistischen Performance.
Das Programm am Freitag wird mit dem Death Industrial von Ana Fosca (23.10.) eröffnet, dem eindrucksvollen und meditativen Klangprojekt der Kopenhagener Künstlerin Linn Hvid, und endet mit hypnotischen psychedelischen Ritualen und den turbulenten Gesten von Arma Agharta (23.10.). In dieser verrückten Nacht der Klangexperimente wird uns Hanna Hartman (23.10.), die seit 30 Jahren Klänge in der ganzen Welt aufnimmt, mit einer Live-Performance für verstärkte und bewegte Objekte beehren, gefolgt von einer Mehrfachübertragung eines Stücks aus ihrem Album Gattet. Nicht zu vergessen die Rückkehr des Duos Luciano Maggiore und Louie Rice (23.10.), die das LUFFF 2019 mit ihrer Performance für Stroboskope, Trillerpfeifen und klatschenden Händen prägte!
Frechheit, Rebellion und Chaos bilden den Abschluss dieser festlichen Ausgabe des LUFF. Den Anfang macht die minimalistische Post-Punk-Band Escapeism (24.10.), deren Film «The Lost Record» im Wettbewerb läuft. Die Cellistin, Komponistin und Klangkünstlerin Leila Bordreuil (24.10) wird mit der konventionellen Ausübung ihres Instruments mit extremen Techniken und Verstärkungsmethoden brechen. Dennis Tyfus (24.10), Chef des brillanten Labels Ultra Eczema, wird alle, die dann noch stehen, umhauen, wenn er die kranke Haut eines Flügels streichelt. Der letzte Abend endet mit dem lauten Aufheulen von Duma (24.10), einer aus Martin Khanja und Sam Karugu bestehenden Band. Dieses Aktivisten-Duo aus der Metal-Szene von Nairobi produziert eine Musik, die Aggressive Noise, Grindcore, Breakcore, Trap und Industrial-Techno kombiniert.