Nomadland
Die Geschichte über den amerikanischen Traum – und sein Scheitern ist der grosse Oscar-Gewinner 2021.
Ein Film, der ungeschminkter kaum daher kommen könnte und das Schicksal einer Einzelkämpferin in den Mittelpunkt stellt. Hauptdarstellerin Fern (Frances McDormand) begibt sich als Nomadin auf die Reise durch ein karges Amerika. Heraus kommt ein einfühlsames, halb-dokumentarisches Roadmovie, mit dem Regisseurin Chloé Zhao vielleicht einen neuen amerikanischen Realismus begründet. Eine Leistung, die auch die Academy anerkennt und gleich sechs Nominierungen ausspricht.
arttv Rezension: Porträt eines prekären Amerika
Schlicht grossartig, wie Frances McDormand in «Nomadland» die eigenwillige Fern auf der Leinwand zum Leben erweckt. McDormand («Fargo», «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri»), die den Film auch produziert hat, verkörpert die ebenso unscheinbare wie unbeirrte Fern, die ihren Mann, ihre Arbeit und ihre Heimat verlor. Ihrer Stadt mit dem pompösen Namen «Empire» wurde sogar die Postleitzahl aberkannt. Nun kurvt Fern mit ihrem Wohnmobil und wenigen Erinnerungsstücken durch die Badlands in den Nordstaaten – immer auf der Suche nach Arbeit. Verfilmt wurde «Nomadland» von der 40-jährigen Chloé Zhao, die – ursprünglich aus China – heute in den USA lebt. International Furore machte Zhao bereits mit ihren Erstlingsfilmen «Songs My Brother Taught Me» über ein Lakota-Sioux-Geschwisterpaar und «The Rider», ein Western, im Jetzt angesiedelt. Der nun vierfach für die Oscars nominierte «Nomadland» erzählt vom amerikanischen Traum – und seinem Scheitern. Er handelt von den grossen existenziellen Fragen, von Liebe, Lebenssinn, Freiheit, Freundschaft, aber auch von Tod, Verlust und Einsamkeit. Und man wundert sich nicht, dass Zhao, die bei Spike Lee studiert hat, als wichtige Inspiration Terrence Malick nennt, der mit seinem «Tree of Life» (2011) auf erzählerisch ähnlich beiläufige und doch epische Art einen Blick auf Menschen und ihre Schicksale warf. Die Kamera (Joshua James Richards von «God’s Own Country») zeigt ein dämmergraues, weites Land im kalten Schneegestöber. In den riesigen Hallen von Amazon, auf den kargen Rübenfeldern oder im düsteren RV tritt die Einsamkeit, aber auch die Selbstbestimmtheit der Akteur*innen umso stärker hervor. Doch zeigen sich auch Wärme und Verbundenheit, wenn Fern auf Gleichgesinnte trifft – echte Nomad*innen, für die Zhao charakterstarke Laiendarsteller*innen gefunden hat. So zeichnet der halbdokumentarische «Nomadland» ein prekäres Amerika, dessen Protagonist*innen sich zwischen familiärer Bilderbuch-Idylle und nomadischer Wildnis für Letzteres entscheiden. «Das letzte Stückchen Freiheit in Amerika ist ein Parkplatz», schrieb Jessica Bruder, die als Journalistin über drei Jahre im Van den Wanderarbeiter*innen des 21. Jahrhunderts in den USA gefolgt ist und deren Aufzeichnungen Chloé Zhao nun in so eindringliche und atmosphärische Bilder gebannt hat.
Doris Senn, arttv.ch
Zum Film
«Nomadland» erzählt die Geschichte von Fern (Frances McDormand), die wie viele in den USA nach der grossen Rezession 2008 alles verloren hat. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch einer Industriestadt im ländlichen Nevada packt Fern ihre Sachen und bricht in ihrem Van auf, ein Leben ausserhalb der konventionellen Regeln als moderne Nomadin zu erkunden. Der Film zeigt auch die echten Nomaden Linda May, Swankie und Bob Wells als Ferns Mentoren auf ihrer Erkundung der weiten Landschaften des amerikanischen Westens. (Synopsis)
Weitere Stimmen
«Freundschaft und Einsamkeit sind die Pole, zwischen denen Zhaos Film oszilliert. […] ‹Nomadland› ist geduldig, mitfühlend und offen, motiviert durch den Impuls zu wandern und zu beobachten, anstatt zu urteilen oder zu erklären.» – The New York Times, A.O. Scott | «Ein berührendes, bildgewaltiges und trotzdem durch und durch bescheidenes Roadmovie voll flüchtigem Glück, das gerade deshalb so tief berührt, weil es nicht auf die Tränendrüse drückt.» – Filmstarts.de, Christoph Petersen | «Ein wunderschön inszeniertes, feinfühliges Roadmovie mit dokumentarischem Charakter.» – Gianluca Izzo